Ö1 Radiokolleg (4 x 22 min.)
Seit dem Schuljahr 2019/2020 sind sie verpflichtend: Deutschförderklassen für jene Pflichtschulkinder, die dem Unterricht nicht ausreichend folgen können. Von Anfang an standen viele Pädagog/innen und Expert/innen u.a. aus der Sprachwissenschaft diesem Konzept mehr als skeptisch gegenüber. Denn, so der kritische Tenor: vor allem Kinder lernen eine Sprache am besten im alltäglichen Miteinander. Sprache ist mehr als Grammatik lernen. Sprache ist lebendige Kultur.
Frühkindliche Fremdsprachenförderung ist angesagt. Aber es sollen doch bitte Englisch, Französisch, Italienisch oder Spanisch sein. Chinesisch oder Russisch lassen sich vielleicht auch noch ob ihrer wirtschaftlichen Notwendigkeit argumentieren. Aber türkisch, bulgarisch, arabische oder afrikanische Sprachen?
Die unterschiedlichen Sprachen werden unterschiedlich gewertet – analog zu den Kulturen, die mit ihnen assoziiert werden und zu ihrer vermeintlichen Notwendigkeit im globalen Wirtschaftsgeschehen. Doch egal um welche Sprache es sich handelt: mehrsprachig aufzuwachsen erzeugt im Gehirn neuronale Vernetzungen, die später für andere Lebensbereiche gebraucht werden. Allein fehlt vielfach ein quantitativ erkennbarer Nutzen, weshalb manche Eltern aus anderen Ländern ihren Kindern diese Herkunftssprachen gar nicht mehr beibringen wollen – teils aus Angst vor Ausgrenzung oder auch auf Grund des zeitlichen Aufwands, den die Beschäftigung mit der zusätzlichen Sprache und Kultur im Familienalltag bedeuten würde.
LinguistInnen fordern ein größeres Bewusstsein für den Wert jeder einzelnen Sprache, sowohl im Kinder- als auch im Erwachsenenalter. Englisch als Standardsprache allein reicht nicht aus. Denn auch wenn sich eine große Zahl an Menschen auf Englisch unterhalten kann, so fehlt vielen die emotionale Komponente, die sich erst dann erschließt, wenn man in die damit verbundene Lebenswelt eintaucht. Das bedeutet nicht, dass es notwendig ist, eine Fremdsprache grammatikalisch fehlerfrei und ohne fremdsprachigen Akzent zu sprechen. Denn selbst in unserer Muttersprache hat eine gewisse Schlampigkeit Platz, wie sie in unterschiedlichen Dialekten und im Alltagsjargon zutage treten kann.
Sprachliche Unebenheiten gehören dazu. Sowohl in der Muttersprache als auch im Spracherwerb. Modernes Fremdsprachentraining, wie es diverse Apps heute anbieten, ermöglichen es zu üben, ohne menschliches Gegenüber, das einen auf Fehler aufmerksam macht. Ob es darum geht, eingerostetes Schulfranzösisch aufzubessern, ein paar Phrasen portugiesisch für den nächsten Urlaub oder gar indonesisch oder norwegisch zu lernen. Die Apps ermöglichen spielerisches Lernen in jedem Alter ohne peinliche Hoppalas – allerdings nur bis zu einem gewissen Niveau. Denn: Sprache ist Beziehung. Erst im persönlichen Austausch erschließen sich kulturelle und soziale Komponenten der jeweiligen Sprache, die ja die eigentliche Faszination von Sprache ausmachen.