Ö1 Radiokolleg (4 x 13 min)
Wohl kaum ein Rohstoff ist derart vielfältig in unserem Alltag in Verwendung wie Kautschuk: jede Art von elastischen Bändern in Unterwäsche, Hosenträgern oder in Spannleintüchern, Kondome, Fahrradreifen, OP-Handschuhe und vor allem Autoreifen. Weltweit wurden 2019 rund 13,64 Millionen Tonnen Naturkautschuk produziert. Nach wie vor ist Naturkautschuk der Hauptbestandteil für die weitere Verarbeitung zu den diversen Produkten.
Das Wort „Kautschuk“ ist angelehnt an das spanische Wort „caucho“, das wiederum aus dem Quechua stammt, eine der indigenen Hauptsprachen vom Andenhochland bis in den Regenwald hinein. Caa bedeutet „Baum“, Holz“ und ochu „Träne“, „Blut“. So bezeichnet Kautschuk „blutendes Holz“, oder: „Tränen des Baumes“.
Wohl kaum ein anderer Rohstoff steht in Verbindung mit derart brutaler Ausbeutung und körperlicher Misshandlung Indigener wie der milchige Saft des Kautschukbaums, des hevea brasiliensis. Durch Einritzen der Rinde fließt der Milchsaft aus. In einem am Stamm angebrachten Gefäß wird der Saft gesammelt.
Unter dem Stichwort „Kongogräuel“ ist die wenig ruhmreife, koloniale Vergangenheit Belgiens bekannt. Unter König Leopold II wurden Millionen von Kongolesen ausgebeutet, misshandelt, verstümmelt und ermordet. Bis heute wird Belgien vorgeworfen, seine brutale Vergangenheit nicht genügend aufgearbeitet zu haben, die dem Land und vor allem dem König selbst Reichtum bescherte.
Es war allerdings in Mittelamerika, wo die Konquistadoren zum ersten Mal auf Kautschukprodukte aufmerksam wurden. Bereits Columbus schrieb im 15. Jahrhundert über elastische Bälle aus Gummiharzen, die hoch in die Luft sprangen. Und Cortez sah das gleiche Spiel um 1520 im Zuge der Eroberung des Aztekenreiches. Es gab bereits so etwas wie wasserabweisende Schuhe, Schläuche, Gefäße und wasserabweisende Kleidungsstücke, die mit Naturkautschuk beschichtet wurden.
Viele Unternehmer und Chemiker versuchten, die Eigenschaften von Kautschuk für mögliche Verwendungszwecke zu optimieren.
Es dauerte jedoch bis 1839, als Charles Goodyear durch Zufall das Verfahren der Vulkanisation entdeckte. Der mit Schwefel vermischte Kautschuk verwandelte sich bei Erhitzung in elastisches Gummi. So wurden schließlich die ersten Fahrradluftreifen hergestellt. Doch erst mit der Erfindung des Autos erreichte das internationale Kautschukfieber seine kritische Phase in Südamerika. Ureinwohner im Amazonasgebiet vor allem im heutigen Brasilien, im südlichen Kolumbien und in Peru wurden als Zwangsarbeiter zu sogenannten Kautschukquoten verpflichtet. Wer nicht lieferte wurde bestraft, durch Peitschenhiebe, Folter, Verstümmelungen oder Misshandlung seiner Angehöriger.
Die Arbeit auf den Kautschukplantagen war Schwerstarbeit. Die zähe Flüssigkeit wurde zu bis zu 30 Kilo schweren Ballen geformt. Die Arbeiter schulterten die Ballen und schleppten sie über weite Strecken durch die schwüle Hitze und strömenden Regen im Amazonas.
Der Kautschukboom in Südamerika nahm ein jähes Ende, als die Umgangsformen auf den Kautschukplantagen publik gemacht wurden. Und dadurch, dass durch ausgeschmuggelte Samen des Kautschukbaums in Asien Plantagen angelegt wurden, die im Amazonasgebiet auf Grund der dortigen Gegebenheiten nicht bestehen konnten.
Mittlerweile stammt der Großteil des weltweit angebauten Kautschuk aus Südostasien. Und heute noch werden die Arbeitsbedingungen der Plantagenarbeiter und der Anbau in Monokulturen kritisiert.