Ö1 Radiokolleg – 3 Teile, je 22 Minuten – ab 5.Juni 2023
Laufend wird in Österreich wertvoller Boden versiegelt. Immer mehr neuer Wohnraum bei gleichzeitigem Leerstand, neue Gewerbeflächen und die dazugehörige Infrastruktur. Das Radiokolleg widmet sich der österreichischen Baukultur und der Frage, was es für einen achtsameren Umgang mit unserem Boden braucht.
https://oe1.orf.at/programm/20230605#722073/Versiegelte-Erde-der-sorglose-Umgang-mit-unserem-Boden-1
Teil 1: Von der Lust des Zubauens
In Österreich werden pro Minute 9,89 m2 gebaut. Das sind pro Stunde knapp 600 m2. Eine Folge von individualisierten Wohnformen, Leerstand in Ortszentren und der Tatsache, dass es immer noch „günstiger“ ist, neu zu bauen als Bestand zu sanieren – die langfristigen Folgen freilich nicht mitgerechnet.
Der Wert des Bodens orientiert sich an der jeweiligen Widmung. Baugrund ist mehr wert – und das fördert automatisch soziales Ungleichgewicht. Umwidmungen scheinen auf den ersten Blick sehr willkürlich – und sind es oft auch – beziehungsweise ist es ein kompliziertes Geflecht aus Baurecht, Vertragsraumordnung und Flächenwidmungsplänen, das baulichen Entscheidungen zu Grunde liegen sollte. Das Geflecht ist so komplex, dass die wenigsten EntscheidungsträgerInnen hier tatsächlich über genug fundiertes Wissen verfügen, um Entscheidungen mit Weitblick zu treffen.
Der eigentliche Wert von Boden geht über den monetären Wert hinaus – sei es für das ökologische Gleichgewicht oder für die landwirtschaftliche Nutzung, die in Zukunft regional wieder an Bedeutung gewinnen könnte. Für strukturelle Veränderungen braucht es nicht nur neue Rahmenbedingungen. Die sind laut Expertenmeinung nicht einmal so schlecht – wenn auch an vielen Stellen verbesserungswürdig. Orientieren könnte man sich zum Beispiel an einigen Nachbarländern.
Teil 2: Was ist unter der Betondecke?
Unter der Beton- oder Asphaltdecke befindet sich je nach Anforderung der jeweiligen Nutzung verdichtetes Geröll und andere Schichten, die dem grauen Untergrund Festigkeit verleihen sollen. Doch was war davor?
Die ursprüngliche Zusammensetzung des Bodens ist vielfältig, Je nach Region, Lage und Pflanzenwuchs. Boden ist nur die äußerste, im Regelfall belebte Schicht der Erdkruste. Belebt, weil unzählige Organismen und Kleintiere im Boden leben. Sie sind Teil eines komplexen, im Erdreich verborgenen Ökosystems und haben sich über Jahrtausende aufgebaut. Die Entwicklung einer ein Zentimeter dicken Humusschicht, kann zwischen 100 und 300 Jahren dauern. Boden speichert CO2. Er dient als Filter, durch den der Regen ins Grundwasser sickert. Boden ist lebendig, und so gibt es genaue Bestimmungen, wie der Bodenaushub einer Baustelle zwischengelagert werden soll, damit er dann wieder rundherum oder an anderer Stelle verteilt werden kann. Zwar ist dann der „Orignalaufbau“ nicht mehr gegeben, aber – laut Bodenökologie – besser als nichts. Und: ein „natürlicher“ Boden heizt sich nicht auf wie Asphalt oder Beton.
Laut EU-Taxonomieverordnung darf auf „Acker- und Kulturflächen mit mittlerer bis hoher Bodenfruchtbarkeit und unterirdischer biologischer Vielfalt“ gar nicht neu gebaut werden. In Österreich dürfte laut Übereinkommen nur auf bereits gewidmeten oder bebauten Flächen neu gebaut werden. Doch die Praxis sieht anders aus.
Teil 3: Wiederbelebung des Bodens
Jeder menschliche Eingriff bedeutet eine Veränderung für das betroffene Ökosystem. Wenn also die Rede ist vom „Entsiegeln“ des Bodens, dann kann der vorige Zustand nicht mehr annähernd hergestellt werden. Es entsteht ein neues Ökosystem, in dem sich wieder neue Kleinstlebewesen ansiedeln und vermehren. Der Boden wird wieder zum Filter für das Grundwasser. Doch nicht nur das ökologische Gleichgewicht freut sich, wenn der Grad der Bodenversiegelung abnimmt.
In Ortschaften, die sich bewusst für eine Wiederbelebung der Ortskerne einsetzen und keine neuen Flächen verbauen wollen, herrscht reges Treiben. Ohne Kreisverkehre und Einkaufszentren rund um die Gemeinden spielt sich das Leben wieder im Ortszentrum ab. Dafür braucht es gemeinsame Konzepte, die sich mit Leerstand genauso auseinandersetzen wie mit Verkehr und Schulen. Bürgermeister von Gemeinden, die diesen Weg gehen, berichten über positive Erfahrungen.
Freilich wäre noch viel mehr möglich – auch in den Großstädten, wo die Umsetzung neuer Stadtquartiere dann doch wieder von innovativen Ursprungsideen in der Planungsphase abweichen. Ohne ein anderes Mindset in unseren Alltagsgewohnheiten, in unserem Wunsch nach individueller Lebensgestaltung als Synonym für Freiheit, in einem ästhetischen Anspruch, der Angst vor Haftungsfragen im Notfall uvm. wird sich an der lustvollen Verbauung immer weiterer Grünflächen in Österreich in den nächsten Jahren wenig ändern.